O Warmio moja miła

To the English version

Von da an sagte der Ludwig kein Wort mehr und dachte ohne Erfolg darüber nach, wieso er in Polen ein Deutscher und in Deutschland ein Pole war, aber nicht in Polen ein Pole und in Deutschland ein Deutscher sein konnte.

Leonie Ossowski, Assoziationen zu der Fluchtszene aus „Hermann und Dorothea“

Dies ist ein seltsamer Ort. Manchmal Teil des Nordens, mit den Blaubeeren und Pfifferlingen und dampfenden Seen in der Morgensonne, manchmal Teil des Osten, mit rissigem Beton, Neonlichtern und kommunistischen Denkmälern. Das Wetter ist wie an der Küste, der Regen und die Wolken kommen direkt aus Berlin oder Moskau, durch keine Berge behindert. Hier beschützt der gefiederte Dämon Kłobuk die Häuser, und vielleicht fährt der Schwarze Wolga noch immer durch die Seitenstraßen und Alleen und sucht nach Seelen, die er entführen kann. Es ist ein Ort, den meine deutsche Großmutter und mein polnischer Großonkel Heimat genannt haben, Kinder derselben Mutter.

Die Seen hier haben keine Brandung, ihre Ufer von Schilf und Dunkelheit umhüllt, die nur hier und da von Stegen und Stränden durchbrochen werden, die die Menschen gebaut haben. Keine Brandung bedeutet kein Treibgut. Die Seen hier sind gierig: Sie behalten, was sie einmal haben. Pruzzische Götzenbilder, Helme und Schwerter des Deutschen Ordens, französische Bajonette, deutsche und russische Panzer, die Gebeine ertrunkener Fischer: Die Seen bewahren es und machen es zu einem Teil des Landes. Auch das Land behält trotz der Bemühungen der Nationalsozialisten seinen Namen. Alt Kaletka war Teerwalde und ist wieder Stara Kaletka, und Neu Kaletka gleich gegenüber, einst Herrmannsort, ist jetzt Nowa Kaletka. Siehst du? Es ist ganz einfach. Kümmere dich nicht zu sehr um die Grenzen der Nationalstaaten und wem angeblich was gehört. Die Muttergottes und der gekreuzigte Christus wachen ohnehin von den Kreuzungen und Alleen aus über Polen und Deutsche gleichermaßen. Und die Störche kümmern sich nicht um die Sprache der Zweibeiner, die unter ihren Nestern herumlaufen.

Dies ist ein seltsamer Ort. Und vielleicht, obwohl ich nicht hier geboren wurde, vielleicht kann sogar ich behaupten, dass ich von hier bin.

O Warmio moja miła

From then on Ludwig did not say another word and wondered without success why he was a German in Poland and a Pole in Germany, but could not be a Pole in Poland and a German in Germany.

Leonie Ossowski, Assoziationen zu der Fluchtszene aus „Hermann und Dorothea“

This is a strange place. Sometimes it is of the north, with its blueberries and chanterelles and lakes steaming in the morning sun, sometimes it is the east, all cracked concrete, neon lights and communist memorials. The weather is coastal, the rain and the clouds coming in unimpeded by any mountain range, straight from Berlin or Moscow. Here the feather chicken demon Kłobuk protects some of the houses, and maybe the Black Volga is still driving around the backroads searching for souls to capture. It is a place that my German grandmother and my Polish granduncle called home, both children of the same mother.

The lakes here don’t have a surf, their shores wrapped in reeds and darkness that is only breached by man-made jetties and beaches here and there. No surf means no flotsam and jetsam. The lakes are greedy: they keep what they capture. Old Prussian idols, the helmets and swords of the German knights, French bayonets, German and Russian tanks, the bones of drowned fishermen: they keep it and make it part of the land. The land keeps its names, too, despite the efforts of the Nazis. Alt Kaletka was Teerwalde and is Stara Kaletka again, and Neu Kaletka just across the road, once Herrmannsort, is Nowa Kaletka now. See? It’s simple. Don’t worry too much about the borders of nation states and who owns what. The holy mother and the crucified Christ watch over Poles and Germans alike from the crossroads and alleys anyway. And the storks don’t care about the language of the two-legged mammals congregating beneath their nests.

This is a strange place. And maybe, even though I was not born here, maybe even I can say that I am from here.

2 Gedanken zu „O Warmio moja miła“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

RSS
Follow by Email
Instagram