Begegnungen (III): Olsztyn 2.0

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Unter dem Titel „Begegnungen“ veröffentliche ich kurze Interviews mit Menschen aus Allenstein/Olsztyn, die ich hier getroffen habe, um ihr Leben, ihre Arbeit und ihre Sicht auf ihre Heimatstadt vorzustellen.

Langsamer und nachhaltiger Tourismus, sogenannter „Slow Tourism“, liegt mir sehr am Herzen. Nicht nur, weil ich seit über zehn Jahren für die beiden wundervollen Gründer Sanne und Bart der Spotted by Locals-App und Website schreibe, sondern auch weil ich denke, dass Reisen – frei nach Mark Twain – wirklich fatal für Vorurteile, Bigotterie und Engstirnigkeit ist, wenn man mit Respekt und einem Bewusstsein für andere Kulturen aufbricht. Eigentlich will ich damit sagen, dass jeder von uns so viel wie möglich mit dem Zug fahren sollte.

Ich habe mich deshalb sehr gefreut, die farbenfrohen USE-IT-Karten während meiner ersten Woche in Olsztyn zu finden, und da im Juli die zweite Ausgabe dieser wunderbaren Karte veröffentlicht wurde, habe ich mich mit Iga Skolimowska, der Projektleiterin des Olsztyn 2.0-Kollektivs getroffen. Olsztyn 2.0 ist eine Gruppe junger Leute, die in und für Allenstein/Olsztyn Aktivitäten wie Workshops, Veröffentlichungen und Events durchführen, und Iga und ich haben über das Kollektiv, die Karte, lokalen Tourismus und die anderen spannenden Aktivitäten der Gruppe gesprochen.

Warum habt ihr Olsztyn 2.0 gestartet?

Es begann als Gruppe von Schülern vom Gymnasium 12 hier in Allenstein/Olsztyn, und ich war nicht von Anfang an dabei. Der Gründer war Patryk, unser ehemaliger Präsident, und alles begann als informelles Schulprojekt. Wir als Gruppe haben festgestellt, dass sich die Menschen immer viel über Allenstein/Olsztyn beschwerten und der Stadt, in der sie leben, fast mit Abscheu begegneten. Und das hat uns irritiert, weil wir unsere Stadt wirklich mögen – und dennoch gibt es Leute, die sagen, dass es hier keine Möglichkeiten gibt, keine Entwicklungschancen, keine Zukunft. Wir glauben, dass es aber wirklich viele Möglichkeiten gibt und man seine Fähigkeiten hier ernsthaft verbessern, sich weiterbilden kann und seine Zukunft planen. Es war also ursprünglich ein Projekt, bei dem wir uns sagten: „Ändern wir die Einstellung der Menschen gegenüber Allenstein/Olsztyn“, und wir begannen, Interviews mit Menschen zu führen und Blogposts zu schreiben. Später starteten wir einige Sticker mit dem Hashtag #DUMNIZOLSZTYNA, Bildern von Nicolaus Copernicus und dem Gründer der Stadt Johannes von Leysen, und sie waren sehr beliebt und die Leute verwendeten sie auf ihren Autos und sonst auch überall. Später haben wir einige Videos produziert, die man auf unserem Youtube Channel finden kann.

Olsztyn 2.0 wurde ziemlich populär, weil niemand erwartet hatte, dass die jungen Leute in Allenstein/Olsztyn sich so etwas ausdenken und bereitwillig beschließen, in der Stadt zu bleiben und hier etwas zu unternehmen.

Und das aus eigener Initiative, was erstaunlich ist – manche Leute denken sicherlich, dass man jungen Menschen immer den Weg ebnen muss, ihnen Chancen und Möglichkeiten geben muss, weil sie dies niemals aus eigener Initiative tun können. Aber jetzt ist Olsztyn 2.0 als Verein organisiert und hat Sponsoren?

Seit zwei Jahren sind wir eine offizielle NGO. Wir erhalten keine konstante Förderung, aber wenn wir Events oder andere Projekte wie die Karte durchführen, können wir unsere Partner motivieren, dieses zu unterstützen. Und wir haben tolle Freunde: sehr hilfsbereite und offene Menschen in lokalen Unternehmen und im Rathaus, die von unserer Arbeit erstaunt sind und sehr offen dafür sind, uns zu helfen. Und das ist eine große Veränderung – ich erinnere mich, als wir angefangen haben, waren es nur fünf Leute. Manchmal war es schwierig, denn wo immer wir hinkamen, sagten die Leute Dinge wie ‚Was wollt ihr? Ihr seid erst 15 und wollt Geld von mir? ‚ Aber heute fällt es uns leichter, Projekte zu realisieren und dafür Förderer zu finden.

Als ich hier ankam, sagten mir in den ersten Wochen viele Leute, wie langweilig Allenstein/Olsztyn sei und ich war davon sehr überrascht. Ich weiß, dass sich die Polen gerne beschweren, aber hier gibt es eine gute Infrastruktur und eine Stadt, die für Außenstehende und Neuankömmlinge sehr offen ist. Hat sich eure Meinung zu Allenstein/Olsztyn aufgrund der Arbeit mit Olsztyn 2.0 geändert? Oder wart ihr euch dieses Potenzials von Anfang an bewusst und wolltet die Menschen dafür sensibilisieren?

Letzteres. Wir haben auf jeden Fall gesehen, dass es hier viel zu viele Beschwerden gibt (lacht). Frustration und Negativität existieren natürlich, aber man kann das in positive Energie umwandeln. Und genau das versuchen wir mit unseren Projekten zu erreichen.

Und seid ihr alle aus Allenstein/Olsztyn?

Ja. Einige der jüngeren Teammitglieder, die wir vor ungefähr einem Jahr rekrutiert haben (sie sind alle um die 15 und 16), kommen aus Dörfern außerhalb der Stadt, aber der Rest von uns ist von hier. Die meistens von uns sind Schüler, aber wir stehen in Kontakt mit der Universität, zum Beispiel haben wir dort Anfang Juni beim Innovation Weekend eine Veranstaltung durchgeführt, die sich mit Innovation und Startups befasste.

Seht ihr euch als sogenannte „Social Entrepreneurs“? Wollt ihr eure Fähigkeiten und Projekte weiterentwickeln und möglicherweise als Vollzeitjob betreiben?

Es ist tatsächlich mehr unser Hobby, aber wir nehmen das sehr ernst. Wir alle haben in den letzten vier bis fünf Jahren so viele positive Dinge durch das Projekt erlebt. Ich selbst habe mit Hilfe von Olsztyn 2.0 so viele Fähigkeiten gemeistert und wirklich erfahren, was ich im Leben machen möchte, und das gilt auch für die anderen. Jeder fing zu Hause an, etwas mit seinen besonderen Fähigkeiten zu tun, und Olsztyn 2.0 ermöglichte es uns, das weiter zu entwickeln und einer breiteren Öffentlichkeit zu zeigen. Zum Beispiel die Website: Marcin ist sehr an Design interessiert, und als wir eine Website brauchten, hat er sich bereit erklärt, das zu versuchen – und einen großartigen Job damit gemacht. Und jetzt arbeitet er im digitalen Marketing und im Webdesign. So viele Dinge, die wir mit dem Projekt gemacht haben, wurden zu Ausgangspunkten für unsere jeweilige Karriere. Ich selbst wurde mir meiner Fähigkeiten und Talente durch das Projekt stärker bewusst.

Erzähl mir ein bisschen mehr über die Karte.

Dies ist ein europaweites Netzwerk von Stadtkarten. Einer von uns hat in den Ferien eine USE-IT-Karte von Prag entdeckt und sie hat uns sehr gut gefallen. Deshalb haben wir uns mit den Leuten von USE-IT Europe in Verbindung gesetzt und sie haben uns bei dem ganzen Projekt, der Bearbeitung der Texte, dem Designs und so weiter sehr geholfen. Alle Karten müssen unkommerziell und kostenlos sein und es gibt ein bestimmtes Format, an das wir uns halten. Außerdem muss es von jungen Einheimischen gemacht werden. Das Netzwerk ist wirklich interessant und hat mich dazu gebracht, mehr über Tourismus nachzudenken. Seit ich daran arbeite, denke ich immer daran, wie Allenstein/Olsztyn seine touristische Einstellung und Herangehensweise ändern kann, da im Moment nur ältere Besucher hierher kommen und die gesamte Struktur nur auf diese ausgerichtet ist. In Social Media und anderen Kanälen, die junge Menschen nutzen, gibt es nicht viel. Vielleicht ist unsere Karte ein kleiner Schritt, um dies zu ändern. Wir verschicken unsere Karten auch an jede andere Stadt des USE-IT-Netzwerks, und das ist dann häufig das erste Mal, dass vielen anderen Städten bewusst wird, dass Allenstein/Olsztyn überhaupt existiert (lacht). Unsere Karte ist übrigens die einzige in Polen. Das Design stammt von unserer Freundin Agata Kotowska und sie ist von sich aus auf uns zugekommen, was ein großer Glücksfall war. Und für die Spots haben wir die Allensteiner gefragt, was ihre Lieblingsorte sind und was sie gerne in der Karte sehen würden. Wir haben alle Texte geschrieben und keines der Unternehmen hat uns dafür bezahlt, vorgestellt zu werden.

Und dafür habt ihr schon einen Preis bekommen.

Ja, im Januar wurden wir vom Stadtpräsidenten mit der Statuette des Heiligen Jakob im Bereich der NGO-Aktivitäten ausgezeichnet. Das ist wirklich nett, da die meisten Menschen, die diesen Preis erhalten, zwischen 50 und 60 sind und für ihr Lebenswerk ausgezeichnet werden. Und auf einmal waren da diese 18-jährigen Kids und alle sagten: „Was machen die Kinder hier?“ (lacht) Aber das war eine sehr nette Geste des Präsidenten.

Und was sind eure Pläne für die nächsten Jahre?

Wir möchten natürlich die Karte weiterführen, und das gesamte USE-IT-Netzwerk kommt im September nach Allenstein/Olsztyn! Wir werden 40 Leute aus ganz Europa hier haben, aus jeder Stadt im Netzwerk. Wir werden uns treffen und darüber diskutieren, wie das Netzwerk wachsen kann und so weiter. Und was Olsztyn 2.0 insgesamt angeht, kann ich selber nicht alleine sagen, wie es weitergehen soll – wir rekrutieren immer mehr junge Leute und wollen eine Plattform schaffen, auf der sie ihre eigenen Ideen für die Stadt einbringen und sie dann mit der Gruppe umsetzen. Und dabei können ihre eigenen Fähigkeiten verbessern und sich mit anderen austauschen. Genau das wird heute nämlich immer weniger in der Schule gelehrt, aber wir wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig dieser Prozess und die Unterstützung dafür ist. Und genau diese Unterstützung wollen wir der Stadt und ihren Jugendlichen bieten.

Die englischsprachigen USE-IT-Maps liegen in allen darin vorgestellten Orten in Allenstein/Olsztyn kostenlos aus und werden online zum Download angeboten.

Encounters (III): Olsztyn 2.0

Under the title ‚Encounters‘ I publish a series of interviews with people from Olsztyn I’ve met during my time here – about their lives, their work and how they see their hometown.

Slow and sustainable tourism is important to me. Not only because I write for the wonderful Sanne and Bart of Spotted by Locals for over ten years, but also as I think that travel, to paraphrase Mark Twain, is truly fatal to prejudice, bigotry, and narrow-mindedness if done with a respectful mindset and an awareness of other cultures. What I’m trying to say basically is that everyone should take the train as much as possible.

What was the idea for you to start Olsztyn 2.0?

I was therefore delighted to notice the colourful local USE-IT maps in my first week in Olsztyn, and as the second editions of this wonderful map was just published this month I sat down with Iga Skolimowska, project manager of the group of young people behind the maps, the Olsztyn 2.0 collective, and talk about the map, local tourism and their other exciting activities.

It started as a group of students from high school 12 here in Olsztyn. In the beginning, I wasn’t a part. It was Patryk, our former president. It started as an informal school project. They saw that people were complaining about Olsztyn, almost hating the city they’re living in. And we were confused by that because we really like our city – and yet there are people saying that there are no opportunities here, no chance for development. We think that it has a lot of opportunities and you can seriously improve and master your skills here. It was just a project where we said ‚Let’s change the attitude of people towards Olsztyn‘, and we started doing interviews with people and writing blog posts, and later we launched some stickers with the #DUMNIZOLSZTYNA hashtag, Nicolaus Copernicus and the founder of Olsztyn Jan of Łajsy, and they became quite popular and people used them on their cars and everywhere. Later we did some videos which you find on our Youtube Channel.

It become quite popular because no one had expected the young people of Olsztyn to come up with something like this on their own, and willingly decide to stay in Olsztyn and do something with the city.

And that out of your own initiative, which is amazing – some people might think that you always have to pave the way for young people, give them opportunities and possibilities because they will never be able to do that on their own initiative. But now you’re organised as an association and have financial partners?

For two years now we are an official NGO. We don’t get constant funding, but if we do events or other projects like the map, we can ask them to support that particular project. And we have amazing friends: really supportive and open people in local businesses and city hall that are amazed about our work and are really open to help us. And that’s a big change – I remember when we were starting, just 5 people, it was sometimes hard as wherever we went people were saying things like ‚What do they want? They’re just 15 and want money?‘ But today it’s easier for us to realise things.

When I arrived here, in the first few weeks many people told me how boring Olsztyn is, and I was like, but it’s not? I know that Polish people like to complain a lot, but there’s a good infrastructure here, it’s a city very open to outsiders. Did your opinion of Olsztyn change due to the work with Olsztyn 2.0? Or were you aware of that potential from the beginning and just wanted to make people more aware of it?

The latter. We totally saw that there is too much complaining here (laughs). There is frustration and negativity, but you can turn that into positive work. And that is what we’re trying to do with our projects.

And are you all from Olsztyn?

Yes. The younger team that we recruited a year ago or so (they’re 15, 16) have some members from villages outside the city, but mostly we’re all from here. We’re mostly high school students, but we’re in touch with the university, for example we did an event there at the beginning of June at the Innovation Weekend, which was about innovation and startups.

Do you see yourselves as social entrepreneurs? Is developing your skills and potentially making a busy out of it part of your plans?

It’s really more like our hobby, but we take it very serious. We experienced so many positive things through the project in the last 4-5 years. I myself mastered so many skills with the help of 2.0 and really got to know what I want to do in life, and it’s the same for the other guys. Everyone started doing something with their particular skills at home, and then Olsztyn 2.0 enabled them to use it to help us and show their skills to a wider group. For example the website: Marcin is really interested in design, and we said that we needed a website and he agreed to give it a try – and he did such a great job with it. And now he’s working in digital marketing and web design. So many things we’ve done with the project became starting points for their career. I myself became more conscious of myself and my talents through the project.

So tell me a bit more about the map.

This is a Europe-wide network of city maps. One of us discovered a USE-IT map of Prague on holidays and really liked it, and so we got in touch with the guys from USE-IT Europe, and they helped us set up the project, with editing the texts, the design and so on. All maps have to be uncommercial and free, and there is a certain format they want us to stick to. Plus it has to be made by (young) locals. The network is really interesting, and made me think about tourism in another way. Since I’ve met them I’m always thinking about how Olsztyn can change its touristic attitude and approach, as at the moment it’s only older visitors that come here and the whole structure is catering to them. There isn’t much on social media or any other channels that young people use, so maybe our map is a small step to change that. We’re sending our maps to every other city of the USE-IT network, and this is the first time many of the other cities become aware that Olsztyn exists in the first place (laughs). Ours is the only map in Poland, by the way. The design was made by our friend Agata Kotowska, and she approached us, which was amazing. And for the spots, we asked the people of Olsztyn what are their favourite places and what they would like to see featured in here. We wrote all the texts, and none of the establishments paid us to be featured.

And you already got a prize for it.

Yes, in January we were awarded the statuette of Saint Jakub in the field of Non-Governmental Activities by the City President which is really nice as most people who received it are in their 50s and 60s and are receiving it for their life’s work, whereas we were these 18 year old-guys and everyone was like ‚What are the kids doing here?‘ (laughs). But that was such a nice gesture from the president.

And what are your plans for the next years?

We would like to continue the map, of course, and actually the whole USE-IT network is coming to Olsztyn in September! We’ll have 40 people from all over Europe coming, from every city in the network. We’ll meet and discuss how they network can grow and so on. And regarding the project overall, I couldn’t say what the next steps are, as we want to recruit more young people and become a platform where they can bring in their own ideas for the city, realise them together in a group and also improve their own skills and mindset while doing so. This is maybe something that is not taught in school today as much, but we now know from our own experience how important that process is, and how important a support framework for that is. And we want want to provide that, for the city and its young people.

The USE-IT-maps of Olsztyn are available for free in all spots featured in the map, or online here.

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