Wenn dann der Krieg, der alte Krieg

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Ungefähr 18 Kilometer südwestlich von Hohenstein/Olsztynek befindet sich ein weiteres Kriegsdenkmal, das neuer als das Tannenberg-Denkmal und doch einer viel älteren Schlacht gewidmet ist. Einer, die auf Deutsch den gleichen Namen trägt.

Die Schlacht bei Grunwald oder die (erste) Schlacht bei Tannenberg wurde am 15. Juli 1410 ausgetragen. Das Königreich Polen und das Großherzogtum Litauen unter der Führung von König Władysław II. Jagiełło und Großherzog Vytautas besiegten die Ritter des Deutschen Ordens unter der Führung von Großmeister Ulrich von Jungingen. Die meisten Anführer der deutschen Ritter, inklusive des Großmeisters, wurden getötet oder gefangen genommen. Die Schlacht war eine der größten im mittelalterlichen Europa: je nach Quelle hackten und stachen 27.000 bis 65.000 Männer aufeinander ein. Die Schlacht verschob das Kräfteverhältnis in mittelalterlichen Mitteleuropa, und dank der Mythologie, die sich daraus ergab, wirft sie seit Jahrhunderten ihren Schatten und wurde ebenso oft für Propagandazwecke verwendet. Die Schlacht von 1410 wurde zu einem Symbol des nationalen Triumphs oder der nationalen Schande, je nachdem, auf welcher Seite man sich befand. Hunderte von Jahren, nachdem alle Beteiligten längst zu Staub geworden waren.

Ich bin aber nicht wegen der Politik dorthin gefahren, sondern weil hier wieder ein Denkmal zu sezieren ist. Die Anlage nahe des Dorfes Tannenberg/Stębark wurde 1960 anlässlich des 550. Jahrestages der Schlacht errichtet. Das Denkmal besteht aus drei Teilen: einem Granitobelisken mit den Gesichtern von Rittern, gerade noch hinter ihren Visieren sichtbar, elf 30-Meter-Masten, die die Banner der polnischen und litauisch-russischen Fahnen symbolisieren, und einem Amphitheater mit einer großen Steinkarte der Schlacht und einem kleinen Museum darunter.

Ich war früh am Morgen dort. Ein paar Familien gingen vor mir auf den Hügel mit dem Denkmal zu, und neben dem kleinen Museum, dem Laden und dem Parkplatz waren Bauarbeiter schon fleißig am schuften: ein größeres Museum und Besucherzentrum soll hier bald eröffnen. Die Souvenirläden auf halbem Weg öffneten gerade erst, und eine gelangweilte Teenagerin saß in ihrem Eisstand und tippte auf ihrem Telefon herum, zwei Damen arrangierten die Plastikäxte, Plastikmorgensterne, Plastikschilde und Plastikhelme vor ihren Ständen, und der Besitzer des Bogenschießstands schoss mit einem lauten TWACK einige Pfeile in die Stroh-Zielscheiben. Mein elfjähriges ich liebte es. Die Geschichte der Schlacht von Grunwald war eine einfache Geschichte, durch die Zeit verwässert, in der die guten Ritter auf die bösen Kreuzfahrer loshauen und den abscheulichen Eindringling besiegen. Aber genau wie die Faszination für Tannenberg von 1914 wurde auch dieser Kampf hier immer wieder genauso vereinfacht eingesetzt, um politische Ziele voranzutreiben. Im Jahr 1901 wurde hier ein großer Felsbrocken mit der Aufschrift „Heldentod im Kampf um deutschen Geist und deutsches Recht“ von deutschen Behörden errichtet, um an Großmeister Ulrich von Jungingen zu erinnern. Der Fels ist (oder wurde) seitdem umgestürzt, die Inschrift nicht mehr lesbar. 1910 schuf der Bildhauer Antoni Wiwulski in Krakau ein polnisches Denkmal für die Schlacht, das später von den Nationalsozialisten zerstört wurde. 1976 wurde in Krakau eine Replik errichtet, und die Überreste des alten Denkmals liegen jetzt hier, am Weg Richtung Denkmal. Der deutsche General Ludendorff schrieb am 28. August 1914 in seinem Kriegstagebuch, nach der anderen Schlacht östlich von hier: „… Später schlug ich vor, dass die Schlacht den Namen Tannenberg bekommen soll, als Sühne für jene Schlacht von 1410.“

Die Sonne schien, als ich oben ankam, und nach einem Blick auf die Steingesichter und Flaggen entschied ich mich gegen einen Besuch im Museum – es war sowieso überfüllt. Draußen standen etwa 30 oder 40 große Motorräder mit glitzernden Chromverzierungen, die vom Museumspersonal eifrig fotografiert wurden. Anscheinend war ein Motorradclub mit schweren Maschinen und Lederwesten den Weg nach oben ans Denkmal gefahren, eine sehr späte Verstärkung für Jagiełłos Kavallerie.

Ich hatte Henryk Sienkiewiczs Buch „Die Kreuzritter“ vor langer Zeit gelesen und am Abend nach dem Besuch des Denkmals beschloss ich, mir Aleksander Fords Filmversion anzusehen, die im selben Jahr wie das Denkmal veröffentlicht wurde. Männer in Strumpfhosen und Technicolor treten zu fein inszenierten Kämpfen an, und es gibt nicht viel Blut und noch weniger Eingeweide, Schlamm und zerstückelte Körper. Der Film ist einer der profitabelsten Filme in der Geschichte des polnischen Kinos und wurde von Millionen und Abermillionen Zuschauern gesehen. Aber ich bin nicht beeindruckt von seinem Schwulst, und was auch immer man über moderne Mittelalter-Filme wie „Outlaw King“ sagen möge, ich denke zumindest, dass sie den Gestank und die Angst, die herausrutschenden Eingeweide und die Kotze eines mittelalterlichen Schlachtfeldes weitaus besser darstellen als Ford.

Und später in dieser Nacht werde ich wieder daran erinnert, wie die Eitelkeit und die eingebildete verletzte Ehre von Männern (immer Männern) weiterhin dazu führt, dass sie versuchen, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Ich werde von lauten Schreien geweckt, gehe an mein Fenster und sehe zehn betrunkene Männer, die versuchen sich auf der Staromiejska gegenseitig zu verprügeln und die Plastikmöbel des Sphinx-Grillrestaurants als Waffen zu benutzen. Aber sie sind zu betrunken, um großen Schaden anzurichten, und so wird nur viel herumgestolpert, Schläge und Tritte treffen die Nachtluft und T-Shirts werden zerrissen. Ich gehe wieder ins Bett, als ich die Polizeisirenen höre, und schüttle meinen Kopf über uns Menschen. Aber dann erinnert mich mein elfjähriges ich daran, dass ich die Kampfgeschichten und die Ritter heute Morgen doch genossen hatte.

My War Gone By, I Miss it So

About 18 kilometres southwest of Olsztynek is another war memorial, this was newer than the Tannenberg memorial and yet dedicated to a battle much older. And one that, in German, also shares the same name.

The Battle of Grunwald, First Battle of Tannenberg or Battle of Žalgiris was fought on 15 July 1410 during the Polish–Lithuanian–Teutonic War. The Kingdom of Poland and the Grand Duchy of Lithuania led by King Władysław II Jagiełło and Grand Duke Vytautas decisively defeated the German–Prussian Teutonic Knights, led by Grand Master Ulrich von Jungingen. Most of the Teutonic Knights‘ leadership were killed or taken prisoner. The battle was one of the largest in medieval Europe, with, depending on the sources, between 27,000 and 65,000 men hacking and slashing and stabbing away at each other. It shifted the balance of power in Central Europe, and because of this and the mythology that arose around it has cast shadow for centuries and has been used for propaganda equally often. The 1410 battle became a symbol either of national triumph or of shame, depending on the side you took in it, even hundreds of years after everyone who participated had turned to dust.

But I did not go there because of the politics, but because again here is another memorial to dissect. The one on an artificial here just west of the village of Stębark was erected in 1960 on the 550th anniversary of the battle of Grunwald.
On the 550th anniversary of the battle, the Grunwald Monument was unveiled. It consists of three parts: a granite obelisk with the faces of knights just visible behind their visors, eleven 30-meter masts symbolising the banners of Polish and Lithuanian-Russian flags, and an the amphitheater with a large stone map of the battle and a small museum underneath.

I visited early in the morning and it was quiet. A few families walked ahead of me towards the raised mount of the memorial, and next to the small museum, the shop and the car park builders were busy at a new site where a larger museum and visitor centre is supposed to open soon. The souvenir shops halfway up the hill were just opening up, a bored teenager sat in her ice cream stand and typed away at her phone, two ladies arranged the plastic battle axes, flails, shields and helmets in front of their stalls, and the owner of the archery range himself was sending some arrows into the straw targets with a loud ‚TWACK‘. My 11-year old self loved it here. This was a simple story, one diluted by time, where the good knights whack away at the evil crusaders, wining the day over the heinous invader. But just like the fascination with Tannenberg 1914, this battle here has been used over and over again in an equally simplified manner to advance political aims. In In 1901 a large boulder was set up here with the inscription of a „hero’s death in the struggle for German spirit and German law“ to remember the Grand Master Ulrich von Jungingen was set up by German authorities, but has since (or was) toppled over, the inscription no longer readable. In 1910 a Polish monument to the battle was created in Kraków by sculptor Antoni Wiwulski and later destroyed by the Nazis – its remains lie further up the hill here in Warmia, and a replica was erected in Kraków in 1976. And after that other Tannenberg battle, German general Ludendorff recorded in his war diary on August 28, 1914: „… Later I suggested to call the battle the battle of Tannenberg, as atonement for that battle of 1410.“

The sun is shining as I reach the top, and after the customary glance at the stone faces and flags I decide against a visit of the museum – it was crowded anyway. Outside there were about 30 or 40 large motorcycles parked that were eagerly photographed by museum staff. It seemed a motorcycle club had arrived at the top of the memorial with their heavy machines and leather vests, a very late reinforcement, perhaps, for Jagiełło’s cavalry.

I had read Henryk Sienkiewicz’s ‚Knights of the Teutonic Order‘ long ago, and in the evening after visiting the memorial I decided to watch Aleksander Ford’s movie version that was released in the same year as the memorial. Men in tights and technicolor engage in finely staged battles, and there is not much blood and even lesser guts and mud and dismembered bodies. The movie is one the most profitable film in the history of Polish cinematography, having been watched by millions and millions of viewers since it first screened. But I’m not impressed by its bombast, and whatever you might say about modern medieval movies like ‚The Outlaw King‘, at least I think they portray the stink and fear, the slipped-out guts and puke of a medieval battlefield much better than Ford did.

And later that night I’m reminded again of how the vanity and imagined violated honour of men (always men) leads to them trying to bash each other’s heads in. I’m awoken but lout cries and screams outside my window, and see ten drunken men trying to beat each other up on Staromiejska, trying to use the furniture of the Sphinx grill restaurant as weapons. But they’re too drunk to inflict much damage, and the only thing that happens is that people tumble around, hits and kicks meet only air, and t-shirts get ripped. I go back to bed as I hear the police sirens, and shake my head about us humans. But then my 11-year old self reminds me that I did enjoy the battle stories earlier.

Ein Gedanke zu „Wenn dann der Krieg, der alte Krieg“

  1. Krzyzacy war für mich im zarten Alter von 12 Jahren der Anstoß zu meinem Berufswunsch: Geschichte studieren und zum Deutschen Orden forschen. Die Bösen im Film waren einfach faszinierender als die Guten 😉
    Mieczyslaw Voit ist für mich immer noch einer der besten Schauspieler ever (das ist der Kuno von Lichtenstein).
    Mein Berufswunsch ist dann später wirklich wahr geworden. Ich durfte Geschichte studieren. Heute forsche ich weniger, arbeite in einem Museum, aber die Geschichte des Deutschen Ordens und Preußens fasziniert mich immer noch.
    Danke für den Text.

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